19. 11. 2022, 11 Uhr
Aufführungsort: Leoš-Janáček-Haus
Klavier: Jan Jiraský
Das Konzert dauert 50 Minuten ohne Unterbrechung.
Leoš Janáček:
Thema con variazioni 1. X. 1905 (Von der Straße), JW VIII/19
Erinnerung, JW VIII/32
Auf verwachsenem Pfade – 2. Reihe, JW VIII/17
Im Nebel, JW VIII/22
Bei der Matinee im einstigen Wohnhaus Janáčeks wird der herausragende Janáček-Interpret Jan Jiraský Klavierwerke auf dem originalen Ehrbar-Flügel spielen, den der Komponist einst als Hochzeitsgeschenk erhielt und der ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat. Dieses besondere Instrument wurde erst kürzlich vollständig restauriert.
Die Klavierstücke mit dem Titel Thema con variazioni, auch als Zdenka-Variationen bekannt, waren Janáček zum Zeitpunkt ihrer Entstehung so wichtig, dass er ihnen die Opusnummer 1 gab, obgleich er schon zuvor eine Reihe anderer Werke komponiert hatte. Die Komposition entstand zu Beginn des Jahres 1880, als Janáček am Leipziger Konservatorium studierte, unter der Leitung seines Professors Leo Grill, und er widmete sie seiner Verlobten Zdenka Schulzová. Für den jungen Janáček war dies ein wichtiges Werk, mit welchem er sich darin versuchte, im Stile von Schumann, Tschaikowsky, Liszt, Brahms oder Bach – Busoni zu komponieren.
Das nächste Stück trägt den Titel 1. X. 1905 (Auf der Straße). Diese Komposition entstand spontan als Reaktion auf eine Tragödie, die sich während der Demonstrationen für eine tschechische Universität in Brno ereignet hatte. Da die Stadt damals überwiegend deutsch war, befürchteten die deutschen Stadtvertreter einen größeren Einfluss des tschechischen Bevölkerungsteils und erklärten den 1. Oktober 1905 zum sog. Volkstag, an dem deutsche Vereine und Organisationen aus dem gesamten Umland in die Stadt eingeladen wurden, um ihre Missbilligung der Gründung einer tschechischen Universität in Brno zu demonstrieren. Als Reaktion darauf organisierten auch die tschechischen Einwohner eine große antideutsche Demonstration. Zwischen den beiden Lagern spielten sich Straßenkämpfe ab, gegen welche die Gendarmerie und schließlich auch die Armee einschritt. Bei einem der Einsätze wurde beim Gemeinschaftshaus der junge tschechische Arbeiter František Pavlík getötet. Unter dem Eindruck dieses tragischen Ereignisses schrieb Janáček sein ursprünglich dreisätziges Stück Auf der Straße 1. X. 1905. Unmittelbar vor der Brünner Premiere am 27. Januar 1906 verbrannte Janáček jedoch den letzen Satz, und nach einer weiteren Aufführung in Prag warf er sogar das ganze Manuskript in die Moldau. Glücklicherweise hatte die erste Interpretin des Stückes, die Pianistin Ludmila Tučková, ihre ursprüngliche Abschrift behalten, was sie erst 1924 bekanntgab. So ist dieses für viele Jahre vergessene Klavierwerk der Nachwelt erhalten geblieben.
Erinnerung ist eine kurze Komposition, die Janáček 1928 auf das Ansuchen des jugoslawischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Miloje Milojević hin für die Zeitschrift Muzika verfasste. Auf einem Grundriss von nur wenigen Takten kommt hier das Kompositionsprinzip des Autors in seinen letzten und herausragendsten Schaffensjahren gut zur Geltung.
Der Zyklus kleiner poetischer Klavierkompositionen Auf verwachsenem Pfade entstand nach und nach in den Jahren 1900, 1908 und 1911. Veröffentlicht wurde der Zyklus im Jahr 1911 durch den Brünner Verleger Arnošt Píša. Kurz vor der Herausgabe veröffentlichte Janáček in der belletristischen Abendbeilage der Tageszeitung Lidové noviny die erste Komposition einer „neuen“ Reihe des Zyklus Auf verwachsenem Pfade, diesmal jedoch bereits ohne den poetischen Titel. Anschließend schrieb er noch zwei weitere Kompositionen, von denen die zweite jedoch unvollendet geblieben ist.
Den Klavierzyklus Im Nebel vollendete Janáček im April 1912. Nicht lange zuvor, im Jahr 1910, war er mit seiner Ehefrau und seiner Haushälterin in ein neues Häuschen im Garten der Orgelschule umgezogen, wo er, abgeschirmt von der Außenwelt, mit angegriffenem Selbstvertrauen und in melancholischer Verfassung, sein letztes größeres Werk für Soloklavier schrieb. Er arbeitete an dieser Komposition, nachdem er wenig zuvor Klavierwerke des französischen Komponisten Claude Debussy gehört hatte, und so ist es wohl kein Zufall, dass sein träumerisches, melancholisches Werk Züge des musikalischen Impressionismus zeigt. Der Zyklus Im Nebel errang den ersten Preis in einem Komponierwettbewerb des Klubs der Kunstfreunde, welcher das siegreiche Werk veröffentlichen sollte. Janáček jedoch überließ die Möglichkeit, das Stück in gedruckter Form herauszubringen, seinem Schüler Jaroslav Kvapil, dem Zweitplatzierten des Wettbewerbs. Der Zyklus Im Nebel erlebte seine erste öffentliche Aufführung in der Interpretation Maria Dvořákovás am 7. Dezember 1913 in Kroměříž.
Jiří Zahrádka